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Einführung in die Ausstellung "In Bewegung"

Dr. Cornelia Schertler, 1. Vorsitzende der gedok-Heidelberg

Vor kurzer Zeit sagte mir eine hier lebende Künstlerin:"Ein Bild ist wie eine Stimmgabel, die die Gefühle des Betrachters anrührt und verstärkt. Es übt einen Einfluss auf Geist und Seele aus. Das Bild erlaubt Tiefen dessen zu berühren, was im Alltag nicht zum Schwingen gebracht wird."

An diesem Zitat wird deutlich, wie wichtig die Wahrnehmung und Aufmerksamkeit des Betrachters ist, wie wichtig das Sich-Einstellen des Menschen auf die energiegeladene Bildoberfläche ist.

IN BEWEGUNG heißt die Ausstellung der Künstlerin Linde Bleil-Schoen, in der es weniger um ein landschaftliches Erlebnis, sondern vielmehr um die Begegnung von Kräften und Bewegungen gestaltloser Urmaterie auf dem Weg zur Formwerdung geht. Die bevorzugte Technik der Künstlerin ist dabei das Aquarellieren, das Malen mit Wasserfarben. Leicht, transparent und unvorherbestimmt – mal hauchzart, mal pastoser legen sich die Farbpigmente aufs körnige helle Papier, um sehr malerisch die Körperlichkeit einer Form zu erfassen.

Die Aquarellmalerei zeichnet sich durch den lasierenden Farbauftrag und die Transparenz der Farbe aus und gehört zu den ursprünglichsten Maltechniken. Bereits in der ägyptischen Kunst wurde diese Technik für die Ausschmückung der Totenbuchrollen des 2. Jt. v. Chr. auf Papyrus genutzt. Den entscheidenden Schritt zur Aquarellmalerei vollzog aber Albrecht Dürer im 15. Jh., als er eine Reihe von Landschafts- Tier- und Pflanzenaquarellen schuf. Bis ins 18. Jh. wurde das subjektive Erlebnis der Landschaft, bedingt durch das wachsende Interesse an Reisen, zum Gegenstand der Aquarellmalerei. Die deutschen Expressionisten der "Brücke" und des "Blauen Reiters" schufen dann stark farbige Aquarelle mit abstrahierenden Menschen- und Landschaftsdarstellungen.

Und genau das ist das Besondere der Ausstellung, meine Damen und Herren: Sie sehen keine aquarellierten Landschaften im gewohnten Sinne, sondern eher Emotionsräume, ungegenständliche, abstrakte Farbformen. Von Naturformen ausgehend, z.B. Gesteinsstrukturen, Erdkrustenbildung, Vulkane oder Wasser, entwickelt Bleil-Schoen allgemeine Bildzeichen, deren räumliche Bewegung eine psychische Komponente suggeriert. In langwierigen, aber auch spontanen Arbeitsgängen versinnbildlicht sich der Prozess:.

Die Künstlerin trägt mehrere Farbschichten auf, so dass die darunter liegenden Schichten oft sichtbar bleiben. Wenn sich hier z.B. rotbraune Töne über Lapislazuli legen, entsteht beim Betrachter eine Assoziation von glutheißer Lava, die ins eiskalte Meerwasser strömt (über das Bild "Kleines Weiß"). Hat man sich eingelesen, funkeln ab und zu Edelsteine wie Rubine, Smaragde oder Saphire über die Bildfläche, die mal opak, mal transparent in feinen sensiblen Farbabstufungen das Thema bestimmen. "Die Verbindung von Spontaneität und Strukturierung entsprechen bei mir einem inneren Bedürfnis. Auslöser des Malprozesses ist fast immer etwas sinnlich Anschaubares", so die Künstlerin. Die Formen stehen für Bewegung im Raum, für Prozesshaftigkeit der Realität und der Gefühlswelt des Menschen, die sich nicht in einem entfesselten Zustand befindet, sondern durch ein objektives Begehrten gefiltert ist. In den Arbeiten der Künstlerin, in den wie "magische Landschaften" anmutenden Bildwelten, sind Kälte und Glut, Furcht und Hoffnung, Ruhe und Bewegung als Polaritäten des Lebens gegenwärtig. Auch in Bleil-Schoens Werk führt das sinnliche Erleben der Natur zu einer Naturabstraktion, die an generelle Vereinfachung der Form und eine Inbesitznahme der Farbe gekoppelt ist.

"Wichtig sind mir kräftige, klare Farben mit Leuchtkraft, Kontraste, Balance der Formen, bis sich für mein Empfinden ein Gleichgewicht zwischen Bewegung und Ruhezonen, Spannung und Harmonie einstellt", so die Künstlerin. Farbschicht liegt über Farbschicht, ohne Zwang zur gegenständlichen Formbildung. Ihre wirbelnde, musikalische Bewegungsintensität unterliegt nur den sinnlichen und poetischen Eigenschwingungen von Farbnuancen. Farbe gibt sich bei Bleil-Schoen auch als das, was sie in Wahrheit ist: als Abstufung von Licht und Schatten. Licht und Schatten als Metaphern polarerGefühlsintensitäten des menschlichen Empfindungsspektrums sind unmittelbar in der Farbstruktur gebannt. Der Entwicklungsbogen, wie er sich an den in der heutigen Ausstellung befindlichen Werken abzeichnet, spannt sich von monochromen und landschaftlich-assoziativen Arbeiten zu Werken, in denen vergeistigte Stille herrscht. Bewegung, Aufbruch, Freiwerden und das Ausbrechen aus festen oder erstarrten Formen manifestieren sich in experimentellen Ausdrucksformen durch Mischtechniken zwischen Aquarell, Akryl und Naturmateriealien sowie Collageelementen.

Da die Künstlerin Linde Bleil-Schoen keine Künstlerin ist, die den Vorgaben der Wirklichkeit folgt und ein Abbild der Natur erschafft, sondern durch Offenheit für Experimentelles und für die Eigendynamik des Malprozesses vielgestaltige Bezüge schafft, gestatten Sie mir, dass ich meinen Vortrag mit einer berühmten Briefstelle schließe.

Lieber Freund,
Du fragst nun wie jeder andere auch, was das sei. Ein Bild, sage ich. (...) Und du meinst, dass ein Bild doch etwas ganz bestimmtes sei, etwa wie meine Skizzen. Aber nein, lasst uns doch barmherzig sein und die Kühe auf der Wiese lassen und den Pfeifenmann zu Hause. Was glaubst du wohl, wie denen das im Rahmen an der Wand gehängt unangenehm ist. Es ist ja kaum auszudenken, wenn die Kuh, so natürlich gemalt, mal müsste. Nicht jeder hat einen Stall zu Hause. Und wenn dem Pfeifenmann der Tabak ausgeht? Die meisten Gäste sind doch keine Pfeifenraucher und können ihm keinen Tabak geben. Und wenn ich eine Rose malen sollte, eine süße und betörend duftende, ja mein Lieber, meine röche nur nach Leinöl und Terpentin. Deshalb lass ich das hübsch bleiben und male Bilder, die ich mir aus der Landschaft meiner und deiner Erfahrungen hole."

In der Art eines fiktiven Dialogs vor einem seiner Bilder erläutert hier Emil Schumacher seine ungegenständliche Kunst auf höchst humorvoll-ironische Weise. Im Kern geht es um den autonomen Bildbegriff: eine Kuh ist eine Kuh, und ein Bild ist ein Bild. Und weil die Kunst es also ohnehin nicht mit der Natur aufnehmen kann, versucht Schumacher es gar nicht, sondern holt sich seine Bilder "aus der Landschaft meiner und deiner Emfpindungen". Er begründet damit seine zunehmend ungegenständliche Kunst.

Meine Damen und Herren, lassen Sie sich entführen in eine überzeitliche Naturwahrheit, die in unsere Gegenwart hineinzuwachsen scheint.

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